Was bedeutet der Abbau von Reineiweiß im Silierprozess von Grassilagen und wie lässt sich dessen Ausmaß begrenzen?
Interview im Elite-Magazin (Ausgabe folgt) S. 27, Wiedergabe auf dieser Internetseite mit freundlicher Genehmigung.
Elite: Als Ziel gilt es, in Grassilagen Reineiweißgehalte von größer 50 % am Rohproteingehalt zu halten. Der Abbau von Reinweiß hin zu Nicht-Protein- Stickstoff (NPN)-Verbindungen gilt als problematisch, warum?
Rudolf Leifert: NPN-Verbindungen führen nicht grundsätzlich zu Problemen in der Wiederkäuerfütterung. Die Pansenmikroben können einige NPN wie Ammonium, Harnstoff und Aminosäuren in Bakterieneiweiß verstoffwechseln, wenn ihnen genug Energie zur Verfügung steht. Problematisch wird es, wenn der Reineiweißgehalt weniger als 50 % vom Rohproteingehalt beträgt. Haben zudem Fehlgärungen im Silierprozess stattgefunden, können proteolytische, eiweißabbauende, Clostridien freie Aminosäuren der NPN in sogenannte biogene Amine umgewandelt haben. Hohe Gehalte an biogenen Aminen, Ammoniak und Nitrat sind in jedem Fall schlecht für die Kuh.
Elite: Warum genau?
Rudolf Leifert: Hohe Gehalte an Nitrat, also über 3 % in der Trockenmasse, sind ein Problem, da die Pansenbakterien Nitrat nicht zu Ammonium reduzieren können. Das Nitrat muss denitrifiziert und als Harnstoff über Harn und Milch ausgeschieden werden. Diese Vorgänge strapazieren Leber und Nieren und kosten Energie. Biogene Amine haben toxische Eigenschaften, die den Stoffwechsel der Kuh belasten. Ammoniak verschlechtert Tiergesundheit und Futteraufnahme. Kritisch sind Anteile von Aminen und Ammoniak über 7 bis 8 % vom Gesamtrohprotein.
Elite: Wie kann man dem in der Praxis vorbeugen?
Rudolf Leifert: Eindeutig abgesicherte Aussagen sind derzeit noch nicht möglich. Aus bisherigen Beobachtungen lassen sich aber Zusammenhänge zu Bestandszusammensetzung, Schnittzeitpunkt, Trockenmassegehalt und Verschmutzung erkennen.
Elite: Welchen Einfluss hat der Pflanzenbestand?
Rudolf Leifert: Die höchsten Erträge erzielen alte, gut gepflegte, ausgewogen mit Nährstoffen versorgte Grünlandflächen mit standorttypischer Gräser- und Leguminosenzusammensetzung. Neben den deutschen Weidelgräsern sollten daher Wiesenschwingel, Lieschgras, Knaulgras und andere Obergräser für Vielfalt im Bestand sorgen. Erwünschte ausläufertreibende Untergräser wie Wiesenrispe und Rotschwingel in Verbindung mit Weißklee sorgen dabei zugleich für dichte Grasnarben. Zusammen mit einer Schnitthöhe von 7 bis 8 cm lässt sich so zudem der Schmutzeintrag am besten vermeiden.
Elite: Sie führen Presssaftuntersuchungen von Frischgras durch. Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus für den optimalen Schnittzeitpunkt?
Rudolf Leifert: Der Gehalt an den NPN Nitrat und Ammonium ist zu Vegetationsbeginn und im Schossen sehr hoch und sinkt zum Ährenschieben ab. Zur Ernte sollte der Presssaft nicht mehr als ca. 800 mg Nitrat pro Liter enthalten. Der Zuckergehalt sollte zeitgleich mindestens 50 g je Liter Presssaft betragen. Diese Bedingungen sind meist erfüllt, wenn die Ähren bei den deutschen Weidelgräsern zu einem Drittel geschoben sind. Bestände mit vielfältigen Gräser- und Leguminosenanteilen sind dabei nutzungselastischer als reine Weidelgrasbestände.
Elite: Und wie beeinflussen Trockenmassegehalt und Verschmutzungen den Reineiweiß-Abbau genau?
Rudolf Leifert: Für den Abbau des Reineiweißes im Silierprozess zu NPN gibt es zwei Ursachen, den natürlichen und den mikrobiellen Abbau. Ersterer stoppt, wenn der zelluläre Wassergehalt auf ein bestimmtes Niveau gesunken ist. Daher haben wir bei Heu und Heulagen mit über 75 % TM oft Reineiweißgehalte von größer 80 % des Rohproteins. Bei Grassilagen sollten daher TM-Gehalte von mindestens 38 % bis 40 % angestrebt werden, sowie ein minimaler Bodeneintrag in das Erntegut. Denn Clostridien geraten im Wesentlichen über Schmutz in das Futter. In nassen und verschmutzten Silagen sehe ich das Risiko kritischer Mengen und Formen von NPN, wie den Aminen, damit als erhöht.
Elite: Welche Fütterungsempfehlung geben Sie bei einer Grassilage, die einen Reineiweißgehalt kleiner 50 % am Rohprotein aufweist?
Rudolf Leifert: Ich rate dann mindestens 500 g Sojaschrot oder 150 bis 200 g Bierhefe je Tier und Tag zu füttern, um den Kühen ausreichend essentielle Aminosäuren anzubieten. Bei hohen Gehalten an Aminen sind bisher keine Empfehlungen möglich.
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